Philip Staehelin: Innovation in Zeiten der Disruption

14.11.2016

Man könnte es sich einfach machen und den derzeitigen Medienrummel um Disruption, Startups, Unicorns und Industrie 4.0 als Hype betrachten, der irgendwann wieder vergehen wird. Haben wir das nicht oft genug erlebt? Wird es nicht auch wieder mit einem großen Börsencrash enden? Haben viele CEOs völlig umsonst schlaflose Nächte, in denen sie darüber nachdenken, ob ihre Geschäftsimperien ins Uber-Vakuum gesaugt werden?


Die Antwort ist kurz: nein.
Natürlich gibt es einen Hype, aber anders als früher haben wir es diesmal nicht mit einer Technologieblase zu tun. Vielmehr erleben wir einen Tech-Schmelztiegel, in dem Technologien verschmelzen, um völlig neue Werte zu schaffen – vor allem für die Fast-Movers, die die Zeichen der Zeit früh erkannt haben. Umgekehrt kann es den Untergang für Unternehmen bedeuten, wenn sie die Technologieentwicklungen ignorieren.

Das ist keine Übertreibung. Man schaue nur auf einen langfristigen Trend: Die durchschnittliche Verweildauer eines Unternehmens im S&P-Index lag 1935 noch bei 90 Jahren, 1958 waren es 61, 1980 25 und 2014 nur noch 18 Jahre. Noch dramatischer sind jedoch kurzfristige Trends: Firmen wie Uber, AirBnB und Spotify, allesamt jünger als 10 Jahre, haben ganze Branchen auf den Kopf gestellt. Oder Tesla: Noch vor wenigen Jahren als Traum eines verrückten Genies belächelt, konnte das Unternehmen kürzlich 400.000 Vorbestellungen mit Anzahlung von je 1.000 US-Dollar für das neue Model 3 verbuchen. Das sind 400 Millionen US-Dollar cash, für 18 bis 24 Monate ohne Gegenleistung für die Besteller, und die Aussicht auf bis zu 14 Milliarden US-Dollar zukünftige Verkaufserlöse! Diese Bestellwelle war mehr als irgendjemand erwartet hatte und ließ Automobilhersteller auf der ganzen Welt aufhorchen.

Bleiben wir bei der Autoindustrie und sehen uns an, was passiert, wenn nur zwei der neuen Technologien und Geschäftsmodelle in unserem Schmelztiegel zusammenwirken: Uber, das den Bedarf verringert, ein eigenes Auto zu besitzen, und Google, das an selbstfahrenden Fahrzeugen arbeitet. Kommen diese beiden zusammen, wird einer der Grundsätze im Leben des 20. Jahrhunderts, nämlich dass jeder sein eigenes Auto fahren will, aufgehoben. Statt Geld für ein eigenes Fahrzeug zu bezahlen, lernen die Menschen, dass Angebote wie Uber eine bequemere und preiswertere Möglichkeit sind, von A nach B zu gelangen. In naher Zukunft werden dann auch noch selbstfahrende Fahrzeuge herumschwärmen, die auf Anforderung innerhalb von Minuten am gewünschten Ort erscheinen und zu extrem günstigen Preisen fahren (und nebenbei sicherer sind als Taxis mit Chauffeur – wer weiß, wie lange „handgesteuerte“ Fahrzeuge dann noch auf öffentlichen Straßen zugelassen sind…). Kaufen Menschen, die ein solches Angebot vorfinden, weiter ein eigenes Auto?

Noch ist es nicht so weit, und es wird auch nicht jede Branche so disruptiv getroffen wie die, in denen Uber und AirBnB aktiv sind. Dennoch sollten Unternehmen aller Branchen ihre Geschäftsmodelle anpassen und neue Technologien in diese integrieren. Firmen, die das nicht tun, werden bald einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Doch das Problem ist, das die meisten Unternehmen von ihrer DNA her nicht auf Innovation ausgerichtet sind. Stattdessen sind sie risikoscheu. Vielen fehlen schlicht eine Vision, Methoden und entsprechende Fachkräfte für Innovationen.

Dabei gibt es keine allgemeingültige und standardisierte Lösung, das wäre auch zu einfach. Doch es gibt gewisse Richtlinien, entlang derer man die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens erheblich verbessern kann. Zunächst gilt es zu akzeptieren, dass man die Dinge anders angehen muss, um die Basis für eine Innovationsstrategie zu schaffen. Es gilt, den Fokus auf drei Schlüsselthemen zu legen: 1) „Ideation“ (gute Ideen mit Potenzial finden), 2) Inkubation/Exkubation (ein Raum, in dem Ideen oder Start-ups sich ungestört weiterentwickeln können) und 3) Corporate Venturing (Investitionen in externe Startups oder Unternehmen).

Mit diesen „Innovationssäulen“ setzt das Unternehmen gleichzeitig auf zahlreiche Ideen und Startups mit verschiedenen Laufzeiten. Das ist entscheidend, denn es wäre Selbstmord, nur auf eine einzige Idee zu setzen und zu erwarten, dass ein Wunder geschieht. Dagegen erlaubt der Portfolio-Ansatz, die Entwicklung zu beobachten und die Investitionen dann zu erhöhen, wenn klar ist, welche Startups und Ideen an Fahrt gewinnen. Die Erkenntnis, dass nicht alle Anstrengungen oder Investitionen erfolgreich sein werden, ist dabei unausweichlich. Doch Scheitern gehört zum Innovationsprozess und ein Unternehmen, das das nicht akzeptiert, ist höchstwahrscheinlich ein Unternehmen, das nicht innovativ ist.

Der wichtigste Punkt ist aber, jetzt loszulegen, sofern es nicht schon geschehen ist. Denn abgesehen vom Aufwand, die Innovationssäulen in einer Organisation zu installieren (was alleine schon eine sehr komplizierte Aufgabe ist), braucht es einfach Zeit und Übung, einen gut funktionierenden Innovationsprozess zu schaffen. Learn by doing!

Philip Staehelin
Managing Partner, Roland Berger Prague Office

Roland Berger ist Partner des DTIHK-Wettbewerbs „Connect Visions to Solutions"

 

Der Artikel erschien im Magazin » Plus Juni 2016 auf Seite 13.