Konjunkturumfrage 2024 - Problem für die Transformation der Wirtschaft: Abwärtstrend bei Investitionen und Qualifikation der Arbeitnehmer

09.04.2024

FOTOGALERIE UNTER DEM TEXT

Fazit
•    Konjunkturaussichten: schwaches Licht am Ende des langen Tunnels
•    Größtes Risiko: eine negative Entwicklung der Nachfrage im Inland und im Ausland
•    Alarmierender Abwärtstrend: sinkende Investitionsausgaben bringen Transformation der Industrie in Gefahr
•    Verschlechterte HR-Standortqualitäten: „Produktivität und Leistungsbereitschaft“ und „Qualifikation der Arbeitnehmer“.
•    Tschechien punktet: mit seiner Infrastruktur im Bereich Telekommunikation und weiterhin mit der „Qualität und Verfügbarkeit lokaler Zulieferer“.
•    Attraktivität bei Investoren: deutlich gesunken in den letzten vier Jahren
•    Die AHK-Konjunkturumfrage wird jedes Jahr parallel in 16 Ländern der MOE-Region durchgeführt; in Tschechien nahmen 140 Unternehmen der deutsch-tschechischen Wirtschaftssphäre teil.

Kurzfassung:
Die Aussichten für das laufende Jahr verbessern sich, die sinkenden Investitionsausgaben vor allem beim verarbeitenden Gewerbe bedrohen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Das geht hervor aus der aktuellen Konjunkturumfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer. Kostendruck und administrative Belastungen verschärfen die Lage zusätzlich. Das größte Risiko sehen die Unternehmer derzeit in einem Rückgang der Nachfrage im In- und Ausland, gefolgt von Fachkräftemangel und steigenden Energiepreisen.
Als Investitionsstandort schneidet Tschechien schlechter ab. Die über drei Jahrzehnte als hervorragend bewertete „Produktivität und Leistungsbereitschaft“ sowie „Qualifikation der Arbeitnehmer“ betrachten die Unternehmen aktuell deutlich kritischer, da auch die technologischen Anforderungen ständig steigen.

Nach einem schwierigen letzten Jahr, das geprägt war von Halbleitermangel, anhaltendem Fachkräftemangel, einer Rekord-Inflation und infolgedessen weiter steigenden Nominallöhnen, beurteilen die Unternehmen auch im ersten Quartal 2024 die aktuelle Wirtschaftslage mit dem schlechtesten Wert seit über 10 Jahren. Nur 12% (ggü. 19% 2023) bewerten die aktuelle Wirtschaftslage als gut, 22% als schlecht; das ergibt einen Saldo von -10 Punkten, so schlecht wie zuletzt im Jahr 2013.

Die Wirtschaftsaussichten für das laufende Jahr hellen sich allerdings auf, 30% der Unternehmen (ggü. 19% im Vorjahr) rechnen mit einer Besserung. Trotz des Aufwärtstrends bleibt der Saldo allerdings noch im Bereich von -4 Punkten. Besorgniserregend: In fast allen Parametern bleibt das in Tschechien so wichtige verarbeitende Gewerbe deutlich pessimistischer. Nur 19% gehen von einer Verbesserung der Wirtschaft aus, ganze 41% des verarbeitenden Gewerbes rechnen mit einer Verschlechterung. Die Industrie steuert in Tschechien rund ein Drittel zum gesamten Bruttoinlandsprodukt bei.

Bei den Geschäftsaussichten geht es im Vorjahresvergleich aufwärts, der Saldo steigt auf 21 ggü. 13 Punkten im Vorjahr. Aber bei der Aufschlüsselung nach Branchen ist auch hier das verarbeitende Gewerbe wieder Schlusslicht mit nur 28%, die von einer Verbesserung ausgehen. Im Dienstleistungssektor sind es ganze 44%.

Die sich öffnende Schere zwischen Dienstleistungssektor und verarbeitendem Gewerbe wird noch deutlicher bei der erwarteten Entwicklung des Gesamtumsatzes für 2024. Mit einem Saldo von 24 Punkten liegen wir zwar klar im positiven Bereich, der Trend geht jedoch seit 2021 bergab. Aktuell nur 37% des verarbeitenden Gewerbes (ggü. 51% 2023) rechnet mit einer Verbesserung, bei den Dienstleistern sind es satte 60%!

Dieser Trend schlägt sich in ähnlicher Weise auch in einer seit vier Jahren in Folge sinkenden Beschäftigungsprognose und einem Saldo von nur noch 4 Punkten nieder. Und auch hier ist das verarbeitende Gewerbe mit 19% deutlich zurückhaltender als der Dienstleistungssektor mit 36% an Unternehmen, die mit einer steigenden Beschäftigungszahl rechnen. Schlusslicht ist der Handel mit nur 13 %, auch eine Folge der schwachen Binnennachfrage. Optimistischer zeigt sich das Baugewerbe (38 %), was sicher auch der jüngsten Senkung des Leitzinses durch die Tschechische Nationalbank geschuldet ist.

Alarmierend ist die Entwicklung der Investitionsausgaben für 2024. Ohne ausreichende Investitionen können die Unternehmen in einem schwierigen globalen Umfeld ihre Konkurrenzfähigkeit kaum sichern. Hier verzeichnen wir fast das sechste Jahr in Folge einen Abwärtstrend. Der Saldo sinkt weiter von 10 Punkten im Vorjahr auf aktuell 8 Punkte. Angesichts der enormen Investitionen, welche die Unternehmen in eine nachhaltige Energieversorgung und – effizienz, in Digitalisierung und Automatisierung sowie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle stecken müssen, tut sich hier eine Schere auf zwischen rasant steigendem Transformationsdruck und zugleich sinkenden Investitionen. Das gilt in dramatischerweise für das verarbeitende Gewerbe (Saldo fällt von 4 auf -13 Punkte). Mit sinkenden Investitionen rechnen ganze 39%. In diese Kategorie fallen Unternehmen aus dem Bereich Automotive und Maschinenbau, der für Tschechiens Wirtschaftsentwicklung so zentral ist.

„Mitverantwortlich dafür ist der Kostendruck, der für die Unternehmen in nahezu allen Bereichen gestiegen ist - bei der Energieversorgung, den Löhnen, den Rohstoffen und den Lieferketten. Teuer ist auch der zunehmende administrative Aufwand durch zahlreiche Nachweispflichten, die den Unternehmen auferlegt werden“, so der geschäftsführende DTIHK-Vorstand Bernard Bauer.

Das größte Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden 12 Monaten sehen die Unternehmen in einem Rückgang der Nachfrage (58%); die Unternehmen rechnen mit einer Fortsetzung der Krise bei der Inlands- und der Auslandsnachfrage. Weitere Risiken u.a.: Fachkräftemangel (48%), Energiepreise (46%) und Arbeitskosten (44%). Über 60% der Unternehmen gehen darüber hinaus davon aus, dass geopolitische Veränderungen und Konflikte ihre Geschäftstätigkeit in Tschechien „stark“ oder „spürbar“ negativ beeinflussen.

Werfen wir einen Blick auf die Faktoren, die Tschechien zu einem attraktiven oder weniger attraktiven Investitionsstanddort machen. Das Land punktet wie immer mit seiner EU-Mitgliedschaft (Platz 1), seinen Qualitäten im Bereich der Telekommunikation inkl. Netzqualität und Dienstleistungen (Platz 2) und traditionell mit seiner „Qualität und Verfügbarkeit lokaler Zulieferer“ (Platz 3). Nun im grauen Mittelfeld, haben sich die HR-Faktoren um mehrere Plätze deutlich verschlechtert: „Produktivität und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer“ (Platz 11/12, zuvor 4), und „Qualifikation der Arbeitnehmer“ (Platz 16, zuvor 9). Diese Faktoren waren noch bis 2016 zumeist unter den Top 5.

„Problematisch ist das vor allem mit Blick auf die steigenden Anforderungen einer sich digitalisierenden Wirtschaft. Tschechien hat nun mal kaum Rohstoffe, wir müssen alles auf unsere Human Resources setzen und in Ausbildung, Weiterbildung und Up-Skilling investieren, wenn wir als Land innovativ und konkurrenzfähig bleiben wollen“, so Milan Šlachta, Repräsentant der Bosch Group CZ & SK und DTIHK-Präsident.

Schlecht schneidet Tschechien erwartbar ab bei der „Verfügbarkeit von Fachkräften“ (letzter Platz 25), der „Transparenz der öffentlichen Vergabe“ (Platz 24), der Effizienz der öffentlichen Verwaltung“ (Platz 22/23), aber auch aktuell der „Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik“ (Platz 22/23).

Gefragt, ob sie Tschechien wieder als Investitionsstandort wählen würden, antworten 17 % der Unternehmen mit „nein“, der höchste Wert seit 2011. Polen, Bulgarien oder auch Bosnien werden genannt als alternative Investitionsstandorte.


Schwerpunkt „Digitalisierung“

Da die Digitalisierung eine zentrale Rolle für Transformation und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft spielt, hat die DTIHK die Unternehmen auch dazu befragt. Danach halten über 60 % der Unternehmen den Stand der Digitalisierung in ihrem Betrieb für „gut“ oder sogar „sehr gut“, knapp 30 % immerhin noch für „befriedigend“. Bei fast jedem zweiten Unternehmen, in dem derzeit ein Transformationsprogramm läuft (rund 42 %), ist es mit einer zusätzlichen Digitalisierung verbunden.

Die größte Herausforderung für eine erfolgreichen Digitalisierung ist laut drei Fünftel der Unternehmen die Weiterbildung von Belegschaft und Führungskräften, für jedes zweite Unternehmen ist die Akzeptanz bei Mitarbeitenden und Kunden eine große Herausforderung.

Gefragt nach den Kompetenzen, die bei ihren Führungskräften und Mitarbeitenden weiterentwickelt werden müssen, steht mit 62 % an oberster Stelle die Fähigkeit Daten zu verstehen, sie zu analysieren, auszuwerten und für die Geschäftstätigkeit zu verwerten. Gleich danach folgt die Arbeit mit „Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen“ (55 %) sowie „Digitales Prozessverständnis, digitale Denkweise und Veränderungsbereitschaft“ (knapp 46 %).

„Tschechien steht im Bereich der Digitalisierung nicht schlecht da. Dennoch stehen wir vor einer Reihe von Herausforderungen, darunter die Bildung und die Bereitschaft der Mitarbeiter, Veränderungen anzunehmen. Bei SAP-Kunden sehe ich einen wachsenden Fokus auf die Rolle der Endnutzer, da neue Technologien wie KI in immer mehr Prozesse Einzug halten. Deshalb setzt sich Tschechien für die Entwicklung der IT-Ausbildung an Schulen ein; und auch wir arbeiten mit einer Reihe von Bildungseinrichtungen zusammen", sagt Hana Součková, Geschäftsführerin von SAP Tschechien.


Entwicklung in Deutschland

Rund ein Drittel des tschechischen Außenhandels wird mit Deutschland abgewickelt. Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft ist daher für Tschechien von grundlegender Bedeutung. Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin für Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer Berlin zur aktuellen Lage der deutschen Wirtschaft:
Auch in der deutschen Wirtschaft ist die Stimmung weiter betrübt. Die Unternehmen belasten noch immer hohe Energiekosten, Bürokratie, Fachkräftemangel und geopolitische Unsicherheiten. Sinkende Preise für Energie und Vorleistungen, rückläufige Inflationsraten und die moderat wachsende Weltwirtschaft nähren allerdings die Hoffnung auf eine konjunkturelle Belebung. Insgesamt bleibt die Lage derzeit aber ungewiss. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen in Deutschland ist wichtig, damit die deutsche Wirtschaft ihre Stärken wieder ausspielen kann. In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten ist auch die enge Zusammenarbeit mit unseren wichtigen Partnern und Nachbarn wie Tschechien umso bedeutender. Unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen sind ein Erfolgsmodell, das beim erhofften Aufschwung gerade 20 Jahre nach dem EU-Beitritt Tschechiens zu Recht im Fokus der deutschen Unternehmen steht.“
 
Ergebnisse der DTIHK-Konjunkturumfrage 2024

 

Zur Umfrage in Tschechien

Befragungszeitraum: 19. Februar – 15. März 2024
Teilnehmerkreis: 140 Mitgliedsunternehmen der DTIHK und deutsche Unternehmen in Tschechien
Beteiligung nach Sektoren: 39 % verarbeitendes Gewerbe,
42 % Dienstleistungen, 11 % Handel, 6 % Bauwirtschaft, 2 % Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung

Kontakt:
Christian Rühmkorf

Tel.: +420 603 882 185
E-Mail: ruehmkorf(at)dtihk.cz

Foto © Jaromír Zubák

» Pressefotos

» mehr Infos zu den DTIHK-Umfragen

Publikationen zum Thema

09.04.2024_PM_Konjunkturumfrage 2024