Konjunkturumfrage 2021 - Trend bestätigt: Das digitale Estland ist für Investoren in MOE attraktiver als das Industrieland Tschechien
- Es geht bergauf. Vor allem das verarbeitende Gewerbe sieht bei den meisten Indikatoren einen positiven Trend für die weitere Jahresentwicklung.
- Der Fachkräftemangel drückt wie bisher, aber die Lohnkostenspirale hat sich deutlich verlangsamt.
- Tschechien punktet weiterhin mit der „Produktivität und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer“ und der „Qualität und Verfügbarkeit lokaler Zulieferer“. Die „öffentliche Verwaltung“ wird u.a. aufgrund mangelnder Digitalisierung so schlecht bewertet wie noch nie, Platz 1 als attraktivster MOE-Investitionsstandort gehört daher abermals Estland.
- Weiterer Warnschuss: Standortkriterium „Politische und soziale Stabilität“ ist größter Absteiger im Ranking 2021
- Eine Chance für Tschechien tut sich bei der Verkürzung der Lieferketten von Asien zurück nach Europa auf.
- Die AHK-Konjunkturumfrage beantworten jedes Jahr über 1.300 Unternehmen in 16 Ländern Mittelosteuropas parallel.
Wirtschaftsaussichten
Auf den ersten Blick wenig Überraschungen: Die Unternehmen in Tschechien bewerten die Wirtschaftsaussichten für das laufende Jahr wesentlich besser als die aktuelle Lage im Teil-Lockdown. Knapp 40 % sehen für die Wirtschaft ein Licht am Ende des Tunnels, fast jedes zweite Unternehmen (47%) rechnet mit besseren Aussichten für das eigene Geschäft.
Diesen Positivtrend bestätigen auch weitere Indikatoren. Ganze 55 % der Investoren rechnen mit einer Steigerung ihres Gesamtumsatzes, beim Exportabsatz (35%), bei den Investitionsausgaben (34%) sowie bei den Einstellungen (36%) geht immerhin deutlich mehr als ein Drittel der Unternehmen von einer Steigerung aus. Mit diesem Zahlen bewegen wir uns bei den Einschätzungen im Ganzen auf Vorkrisenniveau, stoßen uns allerdings aus der Talsohle des Jahres 2020 ab.
Gespaltene Wirtschaft
Blickt man detailliert auf die Einzelergebnisse der Konjunkturaussichten, dann spiegelt sich jedoch deutlich die pandemiebedingte Spaltung der Wirtschaft zwischen den Sektoren. Wenn jedes fünfte Unternehmen die aktuelle Wirtschaftslage als „gut“ bewertet, dann sind zwei Drittel davon aus dem verarbeitenden Gewerbe und nur 15 Prozent aus dem Dienstleistungsbereich. Dabei handelt es sich in erster Linie um unternehmensnahe Dienstleitungen.
Lohnkosten
Diese Spaltung zeigt sich auch bei den geplanten Lohnkostenerhöhungen. Im verarbeitenden Gewerbe rechnen deutlich mehr Unternehmen (60%) mit einer Steigerung von bis zu 8 %, als bei den Dienstleistern (nur 38 %).
Insgesamt ist im Vergleich zur steilen Entwicklung der Jahre 2018 und 2019 der Druck bei den Lohnkosten durch die Pandemie erst einmal rausgenommen. Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen (87%) rechnet mit keinen oder geringeren bis moderaten Lohnerhöhungen. Das ist aber nur eine Atempause. Die Lohnspirale dürfte sich schon bald wieder schneller nach oben schrauben.
Risiken: Fachkräftemangel und Nachfrage
Die Unternehmen beklagen nämlich weiterhin einen erheblichen Fachkräftemangel, der sich verstärken wird im Laufe des Jahres, da zugleich fast jedes zweite Unternehmen optimistisch auf die eigene Geschäftsentwicklung 2021 blickt. Im Fachkräftemangel sehen daher auch rund 60% der Investoren das mit Abstand größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens in den kommenden 12 Monaten. Mehr als jedes zweite Unternehmen (53%) sieht in einem Nachfragerückgang, 34% in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein erhebliches Risiko, geschuldet den Lockdown-Erfahrungen.
Standortqualitäten: Absteiger „politische und soziale Stabilität“
Unter den Top 5 der Standortqualitäten haben sich lediglich Verschiebungen innerhalb der Gruppe ergeben. Langfristige positive Konstanten sind neben der EU-Mitgliedschaft Tschechien vor allem die „Produktivität und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer“ (von Platz 5 auf 2 vorgerückt), die „Qualität und Verfügbarkeit lokaler Zulieferer“ (Platz 3), und die akademische Ausbildung (Platz 5). Die Zahlungsdisziplin ist aufgrund der Krise von Platz 2 auf 4 abgerutscht, aufgrund der abgebremsten Lohnspirale werden aber auch die Arbeitskosten nicht mehr als negatives Standortkriterium wahrgenommen (von Platz 13 auf 7).
Der unrühmliche letzte Platz von 21 Kriterien gebührt seit einigen Jahren der „Verfügbarkeit von Fachkräften“. Die dramatischen Absteiger 2021 bei den Standortkriterien sind die „politische und soziale Stabilität“ (von Platz 8 auf 17) und die „öffentliche Verwaltung“ (von Platz 15 auf 19). Ein deutlicher Warnschuss an die Politik.
Öffentliche Verwaltung – Digitalisierungsdefizit
Dass die Digitalisierung eines Landes immer mehr zum entscheidenden Maßstab in der Bewertung eines Investitionsstandortes wird, das machen auch die Investoren in der aktuellen Konjunkturumfrage deutlich. Während Tschechiens analoge öffentliche Verwaltung immer schlechter bewertet wird, sind in Estlands Verwaltung über 3000 digitale öffentliche Dienste verfügbar. Somit hat das baltische Land im MOE-Ranking der Investoren Tschechien abermals den Platz 1 streitig gemacht. Dieser Trend hat vor der Pandemie eingesetzt und wird durch sie verstärkt.
Die Chance – Nearshoring „Zurück nach Europa“
Planen Sie in absehbarer Zeit den Ersatz oder die Ergänzung bisheriger Zulieferer? Ein gutes Drittel (36%) der Unternehmen beantworten diese Frage mit „möglich“ und 13% mit „sehr wahrscheinlich“. Gefragt nach den Regionen, in denen die Zulieferer gesucht werden, macht die EU mit Mittelosteuropa (65%), Westeuropa (43%) und Deutschland (39%) deutlich das Rennen gegenüber Asien-Pazifik (24%) und europäischen Ländern außerhalb der EU (19%). „Eine Chance, die Tschechien jetzt aktiv ergreifen sollte, um sich mit seiner Industriekompetenz und einer zügigen Digitalisierung und Robotisierung die Pole-Position von Estland zurückzuholen“, so geschäftsführender DTIHK-Vorstand Bernard Bauer.
Ergebnisse der DTIHK-Konjunkturumfrage 2021
Zur Umfrage in Tschechien
Befragungszeitraum: 11. März – 16. April 2021
Teilnehmerkreis: 129 Mitgliedsunternehmen der DTIHK und deutsche Unternehmen in Tschechien
Beteiligung nach Sektoren: 42,5 % verarbeitendes Gewerbe,
41 % Dienstleistungen, 11,5 % Handel, 4 % Bauwirtschaft, 1 % Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung
* Das MOE-Ranking der Investitionsstandorte basiert auf Daten von insgesamt 15 deutschen Auslandshandelskammern in den jeweiligen Ländern.
Kontakt:
Christian Rühmkorf
Tel.: +420221490 303
E-Mail: ruehmkorf(at)dtihk.cz
Publikationen zum Thema
PM_2021_05_05_DTIHK-Konjunkturumfrage 2021